Der verschwundene Text
Dieser Artikel ist der 13. Teil der Artikelserie “Inkscape für Entdecker”, die sich an Inkscape-Benutzer richtet, die bereits problemlos mit den Grundfunktionen (wie man sie zum Beispiel im zweiteiligen Einsteigertutorial erlernen kann) zurechtkommen.
Wenn Du direkt mitmachen möchtest, lade Dir zuerst die Workshopdatei “Text 3” (SVG, Lizenz: CC-By-SA 4.0) herunter und öffne sie mit Inkscape.
Text ist nicht gleich Text
In Inkscape erstellt man Fließtexte, indem man mit der Maus ein Textkästchen aufzieht, und dann etwas hineinschreibt. Wer sich diesen Text dann zum ersten Mal mit einem anderen Programm, z.B. einem Webbrowser, ansehen möchte, wird verwundert feststellen, dass der Text scheinbar weg ist, während alle anderen Texte, die durch Klicken mit dem Textwerkzeug und Losschreiben erstellt wurden, noch prima zu sehen sind.
In mehreren Tutorials auf dieser Webseite ist das Thema “Fließtext ist ein bisschen anders” bereits aufgetaucht, meist mit einer kurzen Warnung und einem kurzen Hinweis auf eine bestimmte Inkscape-Funktion. Da die Hintergründe dazu eigentlich ganz interessant sind, und viele neue Benutzer immer wieder nach einer Lösung für das Problem der verschwindenden Texte suchen, hat der Fließtext trotzdem seinen eigenen Artikel verdient.
Die Lösung
Da ich sie sowieso schon verraten habe, kommt die Lösung des Problems diesmal gleich als erstes:
Wenn ein Fließtext im Browser nicht zu sehen ist, sollte man ihn in Inkscape zunächst über das Menü Text ⯈ In normalen Text umwandeln
in eine kompatible Form überführen.
Nur warum ist das so?
Hintergrund
Der Grund ist, dass das SVG-1.1-Dateiformat, in dem Inkscape Deine Arbeit speichert, eigentlich gar keinen Fließtext kennt. Es ähnelt zwar in vielen Details dem verwandten HTML-Format, bei dem alle Texte fließen können (bzw. müssen), verwendet aber für seine Texte absolute Ortsangaben, ohne Angabe der Breite. Diese kommt allein durch Zeilenumbrüche und die Größe und Abstände der Zeichen zustande. Ohne eine klare Grenze aber ist es unmöglich, einen Text an selbige anzupassen.
Die Entwickler des SVG-Dateiformates (die SVG Working Group des W3C) wollten jedoch den Fließtext in die Version 1.2 des SVG-Dateiformates aufnehmen, deren Entwicklung im Jahr 2002 begann. Daraufhin begannen auch die Inkscape-Entwickler, diese Funktion in Inkscape einzubauen, so dass Inkscape-Benutzer sie verwenden können, sobald die neue SVG-Version zum Standard erhoben wird.
Und hier liegt nun genau das Problem: Version 1.2 wurde im Jahr 2005 aufgegeben, stattdessen wurde mit der Entwicklung des SVG-2.0-Standards begonnen (der im Hinblick auf Kompatibilität mit CSS eine Menge Vorteile hat). Fließtext in Inkscape gibt es schon seit Version 0.40, die im Jahr zuvor erschienen ist, als man noch davon ausging, dass SVG 1.2 demnächst gültiger Standard werden würde.
Jetzt hätte man natürlich den Fließtext auch wieder herausnehmen können, um die Verwirrung gering zu halten – aber dadurch wäre eine richtig gute und nützliche Funktion des Programms verloren gegangen. In der Abwägung haben sich die Entwickler dann entschlossen, den Fließtext drinzubehalten, und in der 2005 veröffentlichten Version 0.42 eine Funktion zur Umwandlung in SVG-1.1-standardkonformen Text zur Verfügung zu stellen (zuvor musste Fließtext immer gleich in nicht mehr als Text editierbare Pfade umgewandelt werden).
In Version 2.0 des SVG-Standards (der sich im Moment offenbar seiner Veröffentlichung nähert) soll Fließtext wieder aufgenommen werden – in welcher Form genau, ist aber wohl noch nicht ganz klar.
Wer sich für die aktuellen Entwicklungen und Berichte zum SVG-2.0-Standard interessiert und auch einigermaßen des Englischen mächtig ist, sollte sich unbedingt die Berichte von Tavmjong Bah, Inkscape-Entwickler und Mitglied der SVG Working Group des W3C, in dessen Blog durchlesen. Seine Arbeit als Vertreter von Inkscape in diesem internationalen Gremium kann man auch durch Spenden unterstützen, die für Reisen zu den Treffen der Arbeitsgruppe verwendet werden.
Damit dürfte jetzt auch das Rätsel der verschwundenen Texte für Dich gelöst sein :-) Wenn Du es selbst einmal ausprobieren möchtest, kann Du dafür die Workshopdatei nutzen.
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